Kommt Österreich ohne russisches Gas aus?
von Madita Flörl und Verena Matlschweiger

Das EU-Parlament stimmte kürzlich für einen Lieferstopp für russisches Öl und Gas. Folgen Österreich und andere Staaten diesem Vorschlag, setzen sie ein starkes Zeichen gegen die Abhängigkeit von Russland und gegen den Krieg in der Ukraine. Klar ist: Wir müssen den Gasbedarf senken.
Wer ist Schuld an Österreichs Abhängigkeit vom russischen Gas?
Die Regierungen in Österreich haben bisher keine ausreichenden Schritte für die Senkung des Energieverbrauchs und den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt. Auch die Wirtschaftskammer Österreich (WKO), die Vertretung der österreichischen Unternehmen, hat maßgeblich zur Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten beigetragen, denn ihre Spitze ist seit Langem von Erdöl- und Erdgas-Lobbyisten dominiert. Bestes Beispiel hierfür ist Richard Schenz: Er ist ehemaliger Geschäftsführer der OMV und seit 2000 Vizepräsident und Finanzchef der WKO. 2015 bis 2020 war Jürgen Roth ebenfalls Vizepräsident der WKO: Er ist Ölhändler und Betreiber einer Tankstellenkette. Der WKO-Fraktionschef des ÖVP-Wirtschaftsbundes war jahrelang Alexander Klacska, ein auf Treibstoff- und Brennstoff-Transporte spezialisierte Unternehmer.
Der Ausstieg aus fossiler Energie wurde nicht nur vernachlässigt, sondern aktiv blockiert. Dadurch ist Österreich momentan stark vom Import von Erdöl und Erdgas abhängig. 80 Prozent unseres Erdgases kommt aus Russland. Allerspätestens seit 2014, als Russland die ukrainische Krim angriff, hätte Österreich die Zusammenarbeit mit dem russischen Gaskonzern Gazprom sukzessive zurückfahren und schließlich beenden müssen. Was stattdessen geschah? Nur wenige Monate nach dem Kriegsbeginn 2014 hat Österreich als erstes EU-Land Putin den roten Teppich ausgerollt - und ihn mit Standing Ovations in der Wirtschaftskammer begrüßt. Wenig überraschend wurden seit damals die Energiewende und Maßnahmen zu Energieeinsparungen in Österreich bei Weitem nicht ausreichend vorangetrieben.
Wir brauchen eine Abkehr von fossiler Energie aus Russland
Der ukrainische Klimaaktivist Ilyess El Kortbi fordert beim Weltweiten Klimastreik am 25. März einen Importstopp fossiler Energieträger: „Heute frage ich die europäischen Regierungen: Wie können Sie sagen, 'We stand with Ukrain', aber weiterhin Kohle, Gas und Öl aus Russland kaufen? Das ist Heuchelei. Sie müssen aufhören, diesen Krieg zu finanzieren und aufhören, fossile Brennstoffe von Putin zu importieren.“ Auch viele andere Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International sprechen sich dafür aus, ein Gas-Embargo zu verhängen.
Mit einer sehr deutlichen Mehrheit hat sich das EU-Parlament für ein Embargo für fossile Energieträger aus Russland ausgesprochen. Embargo bedeutet, dass der Handel bestimmter Güter oder Dienstleistungen mit einem anderen Staat verboten wird, in diesem Fall der Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland in einen EU-Staat. Diese Art der Sanktionen kann jedoch nicht vom EU-Parlament beschlossen werden. Die Mitgliedsstaaten müssen sich dazu entscheiden. Litauen strebt schon lange eine Unabhängigkeit von russischen Energieimporten an. Nun wurden alle Gasimporte aus Russland eingestellt. Estland und Lettland wollen nachziehen, wie Die Zeit berichtete.
Erwartete Folgen eines Lieferstopps für Gas aus Russland
Häufige Argumente gegen einen Importstopp von fossiler Energie aus Russland betreffen die wirtschaftliche Entwicklung. Welche wirtschaftlichen Folgen ein Gas-Embargo für Europa hätte, ist schwer vorauszusehen. Einige Expertinnen stellen im Falle eines Einfuhrstopps für russisches Gas verkraftbare Einbußen der Wirtschaft in Aussicht. Ökonom Christian Helmenstein beispielsweise erwartet bei einem Importstopp für russisches Gas lediglich eine Stagnation der hiesigen Wirtschaft, keinen Absturz. Erste Berechnungen zeigen, dass die Wirtschaftseinbußen nach einem Gasembargo gegen Russland für Österreich verkraftbar wären, schreibt DER STANDARD. Manch andere Ökonom*innen trauen sich nicht, eine Prognose abzugeben oder befürchten negative Folgen, wenn einige der wichtigsten österreichischen Unternehmen zeitweise nicht mehr produzieren können. Aufgrund des Krieges in der Ukraine, der Tausende Todesopfer fordert und Millionen Menschen aus der Heimat vertreibt, ist es unangebracht, verkraftbare wirtschaftspolitische Folgen auf die gleiche Ebene zu setzen, wie unsere moralische Verantwortung.
Weniger Gas verbrauchen, mehr Energie sparen
Langfristig müssen demokratische Staaten von Energieimporten aus Autokratien unabhängig werden, um diese nicht mehr finanziell zu unterstützen. Auch kurzfristig muss Österreich seinen Gasverbrauch angesichts der Lage in der Ukraine deutlich verringern. Das hilft nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen die Klimakrise. Die Hälfte des Gases verwenden wir zum Heizen und zur Stromerzeugung. Sparen wir in diesen Bereichen ein, ist es leichter, jene wenigen Bereiche der Industrie zu versorgen, die Gas als Rohstoff weiterverarbeiten. Daher müssen wir jetzt Gebäudesanierung, Heizungstausch und den Ausbau erneuerbarer Energien in Rekordgeschwindigkeit vorantreiben, um die Klimakrise und die Situation in der Ukraine zu entschärfen.
Für all das brauchen wir starke Gesetze. Schon lange warten wir zum Beispiel auf das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz. Es soll dabei helfen, dass Öl- und Gasheizungen durch Fernwärme oder Wärmepumpen ersetzt werden müssen. Nun versuchen Gas-Unternehmen Grüngas (Gas aus Biomasse) als alternativen Brennstoff fürs Heizen anzupreisen. Auch Grüngas müssten wir zukaufen und selbst dann könnte der derzeitige Gasverbrauch nicht abgedeckt werden.
Erneuerbare Energien aus Österreich bringen uns voran. Die Abhängigkeit von fossiler Energie aus anderen Ländern hätte in der Vergangenheit weitaus ernster genommen werden müssen. Insbesondere nach der Annexion der Krim 2014 hätte die Bundesregierung den Import von Öl und Gas sukzessive zurückfahren müssen, um den Übergang zu Erneuerbaren einfacher zu gestalten. Heute dürfen wir den Autokratien dieser Welt nicht länger die Kassen füllen und ihnen damit Legitimität geben. Stellen wir Menschenleben über wirtschaftliche Interessen einzelner Profiteure. Fangen wir jetzt an: Mit einem Importstopp von russischer fossiler Energie!