VfGH bestätigt gravierendes Rechtsschutzdefizit von Kindern in der Klimakrise
english version below
Wien, 7. Juli 2023 – Der Verfassungsgerichtshof verpasst eine einmalige Chance und entscheidet gegen die Klimaklage, die 12 mutige Kinder gegen das aktuell geltende und unwirksame Klimaschutzgesetz eingebracht haben. Der Gerichtshof thematisierte die Kinderrechte nicht und zog sich mit seiner Entscheidung auf formale Gründe zurück. Das Klimaschutzgesetz ist scheinbar so irreparabel, dass auch der Verfassungsgerichtshof hier nicht weiterhelfen kann. Das ändert jedoch nichts an der starken Stellung der Kinderrechte in der Verfassung und daran, dass Österreich ein wirksames Klimaschutzgesetz braucht.
Zwölf Kinder reichten im Februar einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof ein. Sie argumentierten, dass das geltende Klimaschutzgesetz 2011 unwirksam sei und den Ausstoß von Treibhausgasen nicht im erforderlichen Ausmaß senke. Vor allem, weil es seit Anfang 2021 keinerlei Reduktionsverpflichtungen, sprich keinen Plan gibt. Dadurch seien sie in ihren Verfassungsrechten auf Wahrung des Kindeswohls und Generationengerechtigkeit, darüber hinaus aber auch auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Die Argumentation ist schlüssig, doch der Verfassungsgerichtshof zieht sich auf formale Gründe zurück. Eine einfache Reaktion, die angesichts der komplexen Situation fatal ist. Für CLAW - Initiative für Klimarecht, bestätigt die Entscheidung des VfGH, dass der Ernst der Klimakrise in Österreich noch nicht angekommen ist: „Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, wir machen weiter und setzen uns dafür ein, dass der Hebel von Klimaklagen größer wird.“
Verfassung besagt: Kinder müssen geschützt werden.
Kinder haben ein in der Verfassung festgeschriebenes Recht auf Schutz und Fürsorge, bestmögliche Entwicklung und Entfaltung und auf Wahrung ihrer Interessen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Das beinhaltet zwangsläufig auch ein Recht auf wirksamen Schutz vor der Klimakrise und ihren Auswirkungen. Dieses Recht wurde im gegenständlichen Fall jedoch nicht thematisiert, weil der Verfassungsgerichtshof eine einmalige Chance verstreichen ließ und den Antrag mit einer schlichten formalen Begründung zurückwies. Die Entscheidung unterstreicht damit das in der Klage thematisierte Rechtsschutzdefizit der Kinder. Den Kindern wurde vorgeworfen, zu spezifisch argumentiert zu haben. Allerdings würde es ihre Lage auch nicht verbessern, wenn man das gesamte Gesetz angefochten hätte und es aufgehoben worden wäre. Denn dann gäbe es gar kein Klimaschutzgesetz und somit auch keinen Fahrplan, wie lebensnotwendige Treibhausgasreduktionen erfolgen sollen.
Schutz der Kinder braucht ein wirksames Klimaschutzgesetz.
“Dass der Verfassungsgerichtshof eine Klage aus formellen Gründen nicht zulässt, ändert nichts an der Tatsache, dass das bisherige Klimaschutzgesetz inhaltlich eine Katastrophe ist. Das Urteil führt uns vor Augen, dass wir keine Möglichkeit haben, uns vor Gericht über die Zerstörung unserer Zukunft zu beschweren. Das werden wir nicht so einfach hinnehmen! Kinderrechte müssen einforderbar werden”, erklärt Daniel Shams von Fridays For Future. “Und wenn der Regierung das Wohl der Kinder wichtig ist, muss sie ein neues und tatsächlich wirksames Klimaschutzgesetz beschließen.”
„Der Verfassungsgerichtshof hat keinen Weg gezeigt, wie die Rechtsverletzung der Kinder beseitigt werden kann. Im Gegenteil: er hat eine verfassungswidrige Pattsituation aufgezeigt, denn ein zu weit gefasster Antrag beseitigt wiederum nicht den verfassungswidrigen Zustand. Erschreckend ist die Tatsache, dass die Kinder sich nicht einmal erfolgreich dagegen wehren konnten, dass wir in Österreich ein Klimaschutzgesetz ohne Reduktionsziele haben. Da die Entscheidung allerdings rein formell ist, werden wir inhaltlich im Dialog bleiben und über den Sommer das nächste Verfahren ausarbeiten. Schritt für Schritt, Verfahren für Verfahren und irgendwann geht die Tür auf”, sagt die Klimaanwältin Michaela Krömer.
Klimaschutzgesetz-Demo von Fridays For Future.
Für Montag 10. Juli um 17.00 Uhr, start am Ballhausplatz, kündigt Fridays For Future eine Großdemo an und ruft alle Menschen zur Teilnahme auf, denen die Zukunft unserer Kinder am Herzen liegt. “Wenn der Verfassungsgerichtshof unsere Rechte nicht schützen möchte, müssen wir die Klage außerhalb des Gerichts gewinnen. Wir haben ein Recht auf eine Zukunft, doch momentan haben wir keine Möglichkeit, diese Rechte einzuklagen. Das ist ein Skandal! Was sind Kinderrechte in Österreich dann überhaupt wert?
Deswegen rufen wir alle Menschen dazu auf, mit uns die Straßen zu füllen und für unser Recht, ein Recht auf eine lebenswerte Zukunft einzustehen. Die Regierung muss endlich ein wirksames Klimaschutzgesetz beschließen. Es ist zu heiß und die Politik dreht sich im Kreis!”, sagt Klara König von Fridays For Future.
ENGLISH VERSION
Austrian Constitutional Court confirms serious legal protection deficit of children in light of the climate crisis
Vienna, July 7, 2023 - The Constitutional Court misses a unique opportunity and decides against the climate lawsuit brought by 12 courageous children against the currently valid and ineffective climate protection law. The Court did not address children's rights and retreated to formal grounds with its decision. The Austrian Climate Protection Act apparently is so irreparable, that even the Constitutional Court cannot help here. However, this does not change the strong position of children's rights in the Constitution.
Twelve children filed a lawsuit with the Austrian Constitutional Court in February. They argue that the current Climate Protection Act 2011 was ineffective and did not reduce greenhouse gas emissions to the required extent; above all, because of the missing reduction obligations, i.e. no plan, since the beginning of 2021. Consequently they claim, this failure infringes their constitutional rights to safeguard the best interests of the child, intergenerational justice and equality before the law. The argumentation is conclusive, but the Constitutional Court retreats to formal grounds - A simple reaction that is fatal in regards to the complex situation. For CLAW - Initiative for Climate Law, the decision of the VfGH confirms that the gravity of the climate crisis has not yet arrived in Austria: 'We still have a long way to go, we will continue and strive to increase the leverage of climate lawsuits.'
Children have a constitutional right to protection and care, to the best possible development and fulfillment, and to the protection of their interests, especially from the point of view of intergenerational justice. This necessarily includes a right to effective protection from the climate crisis and its effects. However, this right was not addressed in the case at hand because the Constitutional Court let a unique opportunity pass. It preferred to adhere to its strict line of case law on the admissibility of individual applications. The decision thus underscores the children's legal protection deficit, which was the subject of the complaint. The children were accused of having argued too specifically. However, it would not improve their situation if the entire law had been challenged and repealed. For then there would be no climate protection law at all and thus no roadmap for how vital greenhouse gas reductions are to be made.
Protection of children needs an effective climate protection act.
"The Constitutional Court has not addressed the topic of how to challenge the infringement of children's rights. Instead, it has retreated to an unconstitutional stalemate. It is regrettable that children were unable to effectively advocate for themselves in the face of Austria's Climate Protection Act, which provides for no reductions targets to be set after 2020. Nevertheless, as the ruling is purely procedural, we will continue fighting for children’s on merits. So new lawsuits can be expected in the near future”, says climate advocate Michaela Krömer.
"The fact that the Constitutional Court does not allow the complaint for technical reasons does not change the fact that the previous climate protection act is a complete disaster. The ruling makes it obvious that we have no possibility to complain in court about the destruction of our future. This is unacceptable! Children's rights must become enforceable," explains Daniel Shams of Fridays For Future. "And if the government cares about the welfare of children, it must pass a new and actually effective climate protection act."
Fridays for Future calls for protests following the climate lawsuit decision
For Monday 10 July at 17.00, starting at Ballhausplatz, Fridays For Future announces a large-scale demonstration and calls on all individuals concerned about children's rights and climate action to participate. "If the Constitutional Court does not want to protect our rights, we have to win the case outside the court. We have the right to a future, but no legal path to demand it. This situation is an outright scandal! To what extent are the rights of children valued in Austria then?
We call on all people to flood the streets with us and to stand up for our rights. We call on the government to enact an efficacious climate protection act. The urgency of this matter has reached an intolerable level, it is getting hotter day by day and political inaction is now synonymous with stagnation!" says Klara König from Fridays For Future.