Einschüchterung statt Teilhabe – italienische Polizei verhindert Teilnahme an Wiederaufbau-Konferenz
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Foto: Florian König
Philipp Hofstädter und Viktoriya Ball
Das Recht der Versammlungsfreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. In Ländern, wo Proteste unterdrückt werden, fällt es Autokraten leicht, auch alle weiteren Freiheiten der Bevölkerung zu untergraben. Mehrmals in der Geschichte wurden Proteste verboten – und fast immer endete es in einem Desaster. Gerade Menschen, die unzufrieden mit der Politik sind, sollten laut für das Recht auf Protest einstehen – Demonstrationen sind schließlich oft der einzige Ort, wo Menschen die Politik der Regierung wirksam bekämpfen können.
Demokratieabbau passiert in Schritten. Und es ist es die Demonstrationsfreiheit, die angehende Autokraten zuerst aushebeln. Vor diesem Hintergrund umso erschütternder war unsere Erfahrung mit der italienischen Polizei letzte Woche. Es ist wert, einen Blick darauf zu werfen.
Rom stand in der zweiten Juli Woche ganz im Zeichen der Ukraine. Neben Regierungschefs und Unternehmensbossen waren auch wir nach Italien gereist – einige junge Menschen, Aktivist*innen von Fridays For Future, sowie Rozviy, einer ukrainischen Organisation, die sich für Klimaschutz und Gendergerechtigkeit einsetzt. Unser Ziel: Bei der Ukraine Recovery Conference (URC) in Rom die Aufmerksamkeit auf den ökologischen Aspekt des Wiederaufbaus zu lenken und damit eine stabile, eigenständige und sozial gerechte Ukraine zu schaffen.
Deshalb organisierten wir zwei Aktionen vor Ort. Unser Protest war friedlich, wir waren kooperativ und haben auf die Wünsche der Polizei Rücksicht genommen. Doch als wir unsere letzten Sprüche gerufen und unsere Banner wieder eingerollt hatten, wandte sich das Blatt: Stundenlang verfolgten uns italienische Polizisten in Zivil (Borghese). Wir sprachen sie an und forderten sie auf, sich auszuweisen. Das taten sie unserer Meinung nach nicht ausreichend - deshalb riefen wir die Polizei. Sie nahmen unsere Daten auf und sagten, dass diese für immer gespeichert werden würden. Wir wollten Bilder der vier anwesenden Polizisten machen, um sie gegebenenfalls identifizieren zu können. Das ist legal und wurde uns von einem der Beamten bestätigt. Der andere wurde rabiat, blockierte unsere Kamera und drängte uns weg, sobald wir Bilder machen wollten. Die Polizisten waren offensichtlich aggressiv und manipulativ. All das bricht europäisches Recht. Mitten in der Europäischen Union. Unser Demonstrationsrecht und unsere Meinungsfreiheit wurden von der Polizei nicht geschützt, sondern eingeschränkt.
Später telefonierten wir mit dem Stabschef der römischen Polizei, der uns bestätigte, dass wir nichts falsch gemacht hatten, aber nicht wusste, wer uns stundenlang verfolgt hatte. Immer wieder sagte er, dass wir uns beruhigen sollten. In welchem Zustand ist bitte die italienische Polizei, wenn das für sie kein Grund zur Sorge ist?
Wurden wir soeben Zeug*innen eines neuen Umgangs mit ‘andersdenkenden’ Menschen? Ist dieser alarmierende Vorfall ein Vorbote eines italienischen Angriffs auf die Zivilgesellschaft im Land und ganz Europa?
Als einige der Aktivistinnen von Rozviy – eine davon ist Mitglied des Jugendrates im ukrainischen Umweltministerium und war als Journalistin akkreditiert! – zur Wiederaufbau-Konferenz gehen wollten, wurden sie bei der Sicherheitskontrolle abgewiesen. Die Begründung: Die Polizei hatte zuvor unserer ganzen Gruppe die Sicherheitsfreigabe entzogen. Im Ernst? Junge ukrainische Aktivistinnen werden bei einer Konferenz zum Wiederaufbau des eigenen Landes von Italiens Polizei ausgeschlossen, weil sie friedlich protestierten? Wurden wir als Sicherheitsrisiko eingestuft, weil wir uns für eine bessere Welt mit einer sicheren, freien und umweltfreundlichen Ukraine einsetzen?
Unsere Erfahrungen in Rom sind alarmierend. Italienische Polizisten verweigern jungen Aktivist*innen den Zugang zu internationalen Konferenzen und verfolgen Jugendliche stundenlang. Situationen wie diese sind in Italien keine Ausnahme, wie zum Beispiel im Liberties Rule of Law Report 2025 berichtet wird. Schwächt die postfaschistische Regierung unter Premierministerin Meloni unser Demonstrationsrecht als Zivilgesellschaft, unsere Freiheit, Meinung auf den Zusammenkünften der Reichen und Mächtigen zu äußern? Wir machen uns Sorgen um die italienische Demokratie. Und das geht uns in ganz Europa an. Ähnliche Zustände könnten bald auch in Österreich und Deutschland herrschen, weil auch hier rechtsextreme Parteien immer mehr einflussreiche Ämter besetzen und nach wie vor sehr starke Umfragewerte haben. FPÖ und AfD machen keinen Hehl daraus, dass sie die Rechte der Zivilgesellschaft stark einschränken wollen.
Außerdem zeigt diese Situation, wie sich der Aktivismus - insbesondere Klimaaktivismus - in den letzten Jahren verändert hat. Vor einigen Jahren gingen tausende junge Leute auf die Straße, um die Geschichte von der Klimakrise zu erzählen – und wie diese uns, Kinder und Jugendliche, am stärksten trifft. Heute schreiben wir von Auseinandersetzungen mit der Polizei, weil sie uns den Raum nehmen, unsere friedliche Arbeit zu machen.
Aber wir geben nicht auf. Wir lassen uns nicht von den Einschüchterungen der italienischen Polizei beeindrucken. Seit über drei Jahren werden Zivilist*innen in der Ukraine angegriffen. Tausende Menschen mussten für den Angriffskrieg Russlands mit dem Leben bezahlen. Das Leid der Menschen in der Ukraine ist unbeschreiblich.
Deshalb müssen wir weitermachen. Wir erzählen von Rom, weil wir ein Zeichen setzen möchten - für das Grundrecht, unsere Meinung sagen zu dürfen. Wenn wir das verlieren, dann ändert sich alles. Dafür müssen wir nicht weit außerhalb Europas blicken.
Doch viel mehr erzählen wir von Rom, um ein Zeichen für alle Opfer der Invasion von Russland in der Ukraine zu setzen. Für die Menschen, die Tag für Tag den Angriffen des Kremls ausgesetzt sind. Die Ukraine kämpft nicht nur für sich selbst, sondern für ganz Europa. Für unsere Sicherheit, unsere Freiheit und unsere Demokratie. Deshalb muss die EU endlich echte Solidarität mit der Ukraine zeigen und Gasimporte aus Russland verbieten. Europa muss deutlich stärker in Hilfen für die Verteidigung und den Wiederaufbau in der Ukraine investieren.
Unsere Situation in Rom zeigt, dass die Demokratie in ganz Europa in Gefahr ist. Wenn wir die Ukraine nicht weiter in ihrem Kampf unterstützen, wird Europa dem russischen Regime schutzlos ausgesetzt und unsere Freiheit gefährdet.
Viktoriya Ball (25) ist eine ukrainische Klimagerechtigkeitsaktivistin. Sie lebt in England und ist Co-Leiterin der Rozviy Youth Climate Initiative. Diese Organisation setzt sich für die Einbindung der Jugend bei Klimaschutzgesetzen in der Ukraine ein. Die Initiative, die primär von jungen Frauen getragen wird, arbeitet für einen grünen Wiederaufbau der Ukraine.
Philipp Hofstädter (16) ist seit fast zwei Jahren Klimagerechtigkeitsaktivist bei Fridays for Future und Schüler aus Wien.